Am 26. September 2014 wurde das offizielle Verhandlungsende des europäisch-kanadischen Freihandelsabkommens CETA verkündet. Die Verhandlungen zum Vertragswerk fanden nicht nur unter Ausschluss der Zivilgesellschaft, sondern ebenso ohne ordentliche Beratungen in den europäischen Parlamenten statt. Bis heute wurde der Vertragstext der Öffentlichkeit nicht offiziell vorgelegt, sondern nur durch die Medien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Von vergleichbarer Intransparenz sind ebenso die Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP geprägt. Beide Abkommen stehen aus diesem Grund ebenso in der Kritik wie aufgrund ihres Umfangs und Inhalts der geplanten Änderungen. Das CETA-Abkommen, dessen Abschluss noch vor dem TTIP-Abkommen geplant ist, gilt dabei als Blaupause für das transatlantischen Abkommens, da zahlreiche seiner rechtlichen Regelungen bereits von mittel- bzw. unmittelbare Wirkung für die europäisch-amerikanischen Handelsbeziehungen sind.
Abkommen ohne ISDS? Hier wird falsch gespielt!
Sowohl auf europäischer Ebene als auch seitens der Bundesregierung – allen voran des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel – wird derzeit der Eindruck erweckt, in den umstrittensten Kritikpunkten wie dem Konzernklagerecht ISDS oder in Forderungen nach mehr Transparenz und Mitentscheidung einzulenken und nachzuverhandeln. Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Trotz anderslautender Äußerungen hat der zuständige SPD-Minister auf Brüsseler Ebene keine Nachverhandlung eingefordert, um den Investitionsschutz nachträglich heraus zu verhandeln. Auch hat die SPD-Fraktion Ende September 2014 im Bundestag gegen einen gleichfordernden Antrag der Grünen Bundestagsfraktion gestimmt. Ein vom Bundeswirtschaftsministerium vorgelegtes Gutachten zum Investitionsschutz in CETA legt ebenso den Eindruck nahe, dass sich die Bundesregierung die Tür zu einer Zustimmung Deutschlands auf jeden Fall offen halten will – auch wenn das Abkommen am Schluss die umstrittenen Klauseln enthält.
Es geht um unsere Rechte auf höhere Standards – in Europa…
Selbst wenn es gelingt, den Investitionsschutz heraus zu verhandeln, gilt: Beide Abkommen halten unseren grünen Forderungen, wie unsere Partei sie auf dem Bundesparteitag im Oktober 2013 in Berlin und im Europawahlprogramm formuliert und beschlossen hat, nicht stand. Denn zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass die prognostizierten Wohlfahrtsgewinne überschätzt sind und nur erreicht werden können, wenn Umwelt- und Verbraucherschutzstandards, Datenschutzauflagen und Daseins-Vorsorgeleistungen weiter abgesenkt oder sogar ganz abgeschafft werden.
Für uns Grüne gibt es keinen Grund, einer solch umfassenden Liberalisierung im Dienste multinationaler Konzerne zuzustimmen. Dabei geht es nicht nur um die Anerkennung und Harmonisierung bestehender Standards, sondern ebenso um das Recht europäischer Parlamente auch zukünftig eigenständige Standards und Normen zu setzen. Die Erfahrungen mit anderen Handelsabkommen zeigen, dass die Weiterentwicklung von Schutzstandards durch die in beiden Abkommen anvisierten Regelungen zur „regulatorischen Kooperation“ erheblich verzögert oder gänzlich ausgebremst werden können.
Was diese harmlos klingende Begrifflichkeit für Folgen hat, wird im CETA Text am Beispiel der Gentechnik wie folgt deutlich: Das angestrebte „effiziente, wissenschaftsbasierte Zulassungsverfahren“ für gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) würde unsere grüne Kernforderung nach einer Reform des Zulassungsverfahrens in der EU unmöglich machen, da sozio-ökonomische und ethische Kriterien (z.B. begründet durch die mehrheitlichen Ablehnung von GVO´s durch Europas Bürgerinnen und Bürger) nicht mehr möglich wären. Gleiches gilt für die vereinbarte Zusammenarbeit zur Aufhebung der Nulltoleranz – ein Freifahrtschein für die gentechnische Verunreinigung unserer Lebensmittel und unseres Saatguts. Wir Grüne dürfen nicht zulassen, dass die Wahlfreiheit unserer Verbraucherinnen und Verbraucher, für die wir jahrzehntelang gestritten haben, durch die Hintertür und eigenhändig unterzeichnet, abgeschafft wird!
…aber auch in Ländern und Kommunen!
Der politische Gestaltungsspielraum wäre jedoch nicht nur auf EU und nationaler Ebene erheblich eingeschränkt, sondern auch von Ländern und Kommunen. Auch hier ist durch diverse Gutachten bewiesen: Einmal liberalisierte Bereiche können zukünftig kaum noch oder gar nicht mehr rekommunalisiert werden, sollten die Abkommen wie geplant in Kraft treten. Insbesondere, wenn es bei der geplanten Absenkung der Ausschreibungsschwellen für öffentliche Aufträge bleibt, die weit mehr Bereiche für den internationalen Wettbewerb öffnen als bislang angenommen. Als Grüne wollen wir aber gerade die kommunale Gestaltungshoheit bei der Daseinsvorsorge erhalten, von der Wasserversorgung über die öffentlichen Bildungsangebote, soziale Dienstleistungen, Kindergarten- und Schulernährung, bis hin zur Abfallentsorgung.
Demokratische Grundrechte sind unfairhandelbar
Transparenz und demokratische Mitbestimmung sind nicht verhandelbare Grundprinzipien unserer Politik. Eine Verhandlungspraxis, die Zivilgesellschaft wie Parlamente derart in ihren Grundrechten auf Mitbestimmung beschneidet und systematisch ausklammert, kann von uns Bündnisgrünen weder toleriert noch akzeptiert werden. Die Zurückweisung der Europäischen Bürgerinitiative EBI „Stopp TTIP“ im September 2014 legt Zeugnis vom mangelnden Willen der Verhandlungsführer ab, sich mit fundierter inhaltlicher Kritik einer breiten Zivilgesellschaft auseinander zu setzen. Als Grüne stehen wir in ihrem Wort, für eine Handelspolitik einzutreten, die rechtsstaatliche Prinzipien, demokratische Beteiligung und hohe Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards nicht auf einem Freihandelsaltar opfert. Gelingt es nicht, CETA und TTIP in Einklang mit unseren grundlegenden Forderungen zu bringen, kann es keine Zustimmung unsere Partei zu beiden Abkommen geben.
Die Landesmitgliederversammlung der GRÜNEN Hessen fordert die Landesregierung auf den zahlreichen Bedenken der Zivilgesellschaft Rechnung zu tragen und sich für Nachverhandlungen bei CETA einzusetzen. Weiter wird die Landesregierung aufgefordert sich für eine transparente und offene Diskussion über TTIP einzusetzen, damit die Standards der Umwelt- und Verbraucherrechte erhalten sowie die demokratischen Mitwirkung des Europäischen Parlaments gewährleistet bleiben.